Sehr intensiv befasste sich Platon mit diesem Thema. Bei ihm finden wir »das Seiende« u. a. in seiner Ideenlehre. Im Gegensatz zum eigentlichen Sinn des Wortes idea, der sich auf das sichtbare Erscheinungsbild von etwas bezieht, ist die platonische Idee etwas Unsichtbares, das den sichtbaren Erscheinungen zugrunde liegt. Sie ist aber geistig erfassbar und damit für Platon in übertragenem Sinn »sichtbar«. Daher hat er den Begriff idea aus dem Bereich der Sinneswahrnehmung in den einer rein geistigen Wahrnehmung übertragen. Das geistige »Sehen«, die »Schau« der Ideen spielt im Platonismus die zentrale Rolle. Laut Platon sind die Hauptmerkmale der Ideen folgende:
Sie sind intelligibel, das heißt unkörperlich, der Sinneswahrnehmung prinzipiell entzogen und nur durch »geistige Einsicht« erfassbar. Sie sind die göttliche od. schöpferische »Matrix«. Sie sind das »reine Seiende« und »seiend Seiende«, das heißt, nur ihnen kommt das Sein im wirklichen, eigentlichen Sinne zu. Alles Sein außerhalb des Ideenbereichs ist nur ein abgeleitetes Sein, ein Sein im uneigentlichen Sinne.
Sie sind vollkommen, das heißt: Das spezifische Wesen desjenigen, dessen unkörperliche »Gestalt« eine Idee ist, findet in ihr seine durch nichts überbietbare Vollendung. Damit erhalten die Ideen eine Wertdimension, sie werden als Ideale bei Platon positiv gewertet und verherrlicht. In der Idee fällt das, was ist, mit dem was sein soll zusammen.
Sie sind überzeitlich, das heißt, sie entstehen nicht und vergehen nicht und sind keinerlei Wandel unterworfen, sondern immer mit sich selbst identisch. Ihre Ewigkeit ist im Sinne von Überzeitlichkeit zu verstehen; aus zeitlicher Perspektive betrachtet erscheinen sie von unbegrenzter Dauer.
Sie sind formlos, das heißt, sie verursachen zwar die räumlichen Gestalten, weisen aber selbst keine Form auf, da sie nicht räumlich sind. Da ihnen keine Räumlichkeit zukommt, sind sie nirgendwo (oder gleichzeitig überall).
Sie sind einfach, rein und unvermischt. Sie sind dasjenige, in dem das, was ist, mit dem als was es sich zeigt, exakt übereinstimmt. Eine platonische Idee ist das, was sie bedeutet. Die Ideen sind Urbilder, alle veränderlichen Dinge sind nur deren Abbilder.
Die Idee als das Allgemeine mit seinem umfassenden Charakter ist für die Sinnesobjekte, in deren Vielheilt sie sich abbildet, das Prinzip der Einheit.
Aufgrund ihrer Merkmale, die von göttlicher Art sind, sind die Ideen als solche den Göttern übergeordnet; die (schöpfenden) Götter verdanken ihre Göttlichkeit ihrem Zugang zu den Ideen.
Als Erkenntnisobjekt ist eine Idee Quelle von Wissen. Eine auf Ideen bezogene Erkenntnis, die nicht auf Sinneswahrnehmung basiert, bedeutet echtes Wissen, während die Sinneswahrnehmung mangels Zuverlässigkeit nur zur Meinung führt.
Platons Werke und seine kosmologisch-physikalische Intuition haben die Physik und die Theorien der Naturwissenschaft bis in die Gegenwart herein beflügelt und in erstaunlichem Maß bestätigt. Wie Platons Timaios nehmen wir auch heute an, dass wir aus einem unendlichen Meer der Möglichkeiten im Universum kraft unseres Denkens, Forschens und Handelns schöpfen und uns Schritt für Schritt dem höheren Wissen nähern können. Fortschrittliche Wissenschaftler scheuen sich nicht anzunehmen, dass dabei eine prägende und ordnende »Geistige Energie und Intelligenz« am Werke ist, die den Zusammenhalt und Bestand der sicht- und messbaren wie auch der unsichtbaren »Welt« gewährt. Diese Erkenntnisse lassen sich gut in eine Metaphysik einordnen, die den Sinn von Sein nicht aristotelisch als Anwesenheit deutet, sondern als ein ewiges Spiel von Kommen und Gehen, Anwesen und Abwesen, Werden und Vergehen.
Auf diese Weise können wir die Welt als ein geistreiches und beseeltes Lebewesen erkennen, das kraft der ihm innewohnenden psyché immer wieder das Wunder vollbringt, dem Möglichen das Wirkliche abzuringen, das Grenzenlose zu begrenzen und dem Chaos Ordnung und Struktur zu geben. Diese platonische Kosmologie, die unseren Kosmos als ewiges Spiel der Entfaltung von Potenzialen deutet, ist weit tragfähiger und unserem »Menschsein« förderlicher als das zunehmend bedrohliche, egoistische mechanisch-technische Weltbild der Gegenwart.
Quellenhinweise und Literatur: »Psychische Energie«, Leopold Brandstätter, 1968, SPIRALE-Verlag • »Heilung durch Psychische Energie«, Leopold Brandstätter, 1959, im Selbstverlag des Verfassers • »Welt- und Gottesverständnis im 3. Jahrtausend«, Leobrand; Einführung, Textauswahl, Zusammenstellung und Kommentare durch W. Augustat, 2016, SPIRALE-Verlag GmbH • »Platon Handbuch, Leben – Werk – Wirkung«, Christoph Horn / Jörn Müller / Joachim Söder (Hrsg.). 2009, Verlag J.B. Metzler • »Intelligente Zellen«, Bruce H. Lipton, 2017, Deutsche Ausgabe KOHA-Verlag GmbH Burgrain • »Platon und die Folgen«, Christoph Quarch, 2018, Verlag J.B. Metzler • »Das Nullpunkt-Feld«, Lynne McTaggart, 2007, Goldmann-Verlag.